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KidsDem: Unvergessen – Kinder von jungen demenzerkrankten Eltern

Alzheimer-Gesellschaft Bochum e.V., St. Vinzenz e.V. und LWL-Universitätsklinikum Bochum setzen sich mit einzigartigem Projekt für junge Betroffene ein

Bochum (lwl). Sie sind jung, sie sind neugierig, sie fangen gerade an, sich von ihren Eltern abzunabeln. Die einen nennen sie Heranwachsende oder Pubertisten, die anderen Jugendliche oder Kids. Sie haben in dieser Phase Probleme mit sich und ihrem Körper und reiben sich an den erziehenden Eltern. Ein wichtiger Lebensabschnitt! In dieser Phase Vater oder Mutter nach und nach an einer Demenz zu verlieren, ist für junge Menschen ein schwerer Schicksalsschlag. Eine Bochumer Kooperation zwischen der LWL-Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin, der Alzheimer Gesellschaft Bochum e.V. und der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung St. Vinzenz e.V. nimmt sich im Rahmen eines außergewöhnlichen Projekts namens KidsDem erstmals dieser besonderen Lebenssituation von Heranwachsenden an. Mit dem durch das NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales und die Landespflegekassen geförderten Vorhaben sollen Hilfen für diese jungen Menschen entwickelt, angeboten und evaluiert werden.

Laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft sind in Deutschland etwa 1,6 Millionen Menschen (2020) dementiell erkrankt. Von einer Demenz im jüngeren Lebensalter sind schätzungsweise zwischen 30.000 und 40.000 Menschen betroffen. In etwa jeder dritten von einer frühen Demenzerkrankung betroffenen Familie leben Kinder unter 18 Jahren. Eine Realität, der auch Dr. Ute Brüne-Cohrs, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Geriatrie und Palliativmedizin, in ihrer Arbeit in der Ambulanz für psychische Erkrankungen im höheren Lebensalter und in der Gedächnissprechstunde der LWL-Universitätsklinik Bochum begegnet. Neben der Diagnostik und Behandlung von Gedächtnisstörungen zählt eine gemeinsame Sprechstunde mit der Beratungsstelle der Alzheimer Gesellschaft Bochum zum ambulanten Angebot. Da Demenzerkrankungen vornehmlich altersabhängig gehäuft auftreten, kommen zur Klinikärztin viele ältere Menschen mit Demenz gemeinsam mit Angehörigen, um sich behandeln und beraten zu lassen. „Aber es stellen sich auch Patientinnen und Patienten zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr und auch jüngere in unserer Sprechstunde vor“, berichtet die Fachärztin. „Eine Demenz-Diagnose bedeutet immer eine sehr einschneidende Veränderung für das gesamte Familiensystem. Doch sind Kinder und Jugendliche als direkte Familienmitglieder eines erkrankten Elternteils betroffen, dann trifft es sie in einer besonders sensiblen Phase ihrer Entwicklung – mit oft gravierenden Folgen für ihr eigenes weiteres Leben.“

Die jungen Angehörigen erleben Vergesslichkeit, Aggressivität, Unruhe beim Vater oder bei der Mutter, oft für sie unvorhersehbar und unkalkulierbar. Sie erleben bei sich widersprüchliche Gefühle wie Wut, Angst, Trauer, Scham und Schuld. Sie müssen eigene Bedürfnisse zurückstellen, oft Verantwortung übernehmen, teils selbst in die Elternrolle schlüpfen. Ihre gesamte Lebensplanung ist in Frage gestellt. „Den Kindern und Jugendlichen fehlt ein Gegenüber, bei dem sie sich entlasten können“, erklärt Erziehungsleiter und Diplom-Heilpädagoge Jan Hildebrand vom St. Vinzenz e.V., „oder auch andere Betroffene gleichen Alters.“ Um diese Kinder in ihrer Not aufzufangen, ihnen einen geschützten Rahmen mit anderen jungen Menschen in einer ähnlichen Situation zu bieten, begleitet durch Therapeutinnen und Therapeuten, erarbeiten die Akteure des KidsDem-Projekts derzeit Inhalte für eine Homepage und Informationsbroschüren sowie das Gruppenangebot „dEMPOWER“ für junge Menschen, das im kommenden Sommer starten wird.

Von dem großen Nutzen des KidsDem-Projekts ist auch Jutta Meder, Geschäftsführerin der Alzheimer Gesellschaft Bochum, überzeugt: „In unseren Beratungsgesprächen und vereinseigenen psychosozialen Angeboten erfahren wir immer wieder, wie wichtig die Einbeziehung aller am Krankheitsprozess beteiligten Angehörigen ist. Besonders die Kinder sind Leidtragende, da es für sie bislang keine passenden Angebote gibt. Daher freuen wir uns, dass wir bald auf gezielte Hilfen verweisen können.“

Die betroffenen Familien werden auch in der ambulanten Sprechstunde im LWL-Universitätsklinikum direkt auf das Angebot aufmerksam gemacht. „Die Diagnose hat großen Einfluss auch auf die psychische Gesundheit der Kinder. Es ist wichtig, den Heranwachsenden in einem frühen Stadium Gesprächsmöglichkeiten anzubieten, damit sie ihre Ängste und Sorgen teilen, in Worte fassen können und gestärkt werden“, so Dr. Brüne-Cohrs. Derzeit werden Fach- und Werbematerialien erarbeitet, und auf einem Fachtag im September 2022 soll das Projekt Interessierten und der Fachöffentlichkeit vorgestellt und über erste Ergebnisse berichtet werden.

KidsDem-Ansprechpartner:innen:

Donnerstag, 10. März 2022